An Rhein und Ruhr. München ist weit weg. Die Duisburger haben seit 2000 ihr eigenes Oktoberfest. Statt auf die Theresienwiese geht’s auf den Kasselle-Pitter-Platz in Serm. Kein Einzelfall: Das bayrische Traditionsfest findet in NRW immer mehr Nachahmer.
Der Herbst ist schon da, sonst aber niemand. Der Kasselle-Pitter-Platz, so wird der Festplatz in Duisburg-Serm genannt, liegt einsam und verloren da. Das einzige Bäumchen auf dem eingezäunten Schotterterrain wirkt deplatziert, im Hintergrund brausen Autos über die Bundesstraße 288 – hier hält für gewöhnlich niemand. Normalerweise; was aber nicht für den 8. Oktober gelten wird. In gut zwei Wochen wird hier ein riesiges Festzelt stehen, 3000 Menschen, die meisten in Lederhosen oder Dirndl, werden feiern, schunkeln, sich zuprosten. Die Duisburger gehen zum Oktoberfest – nicht auf der Theresienwiese, sondern auf dem Kasselle-Pitter-Platz.
Die eigene Wiesn gehört zu Serm wie Mayo und Ketchup auf die Pommes. 2000 gab’s die Premiere, die Sebastianer-Kompanie der Sermer Schützenbrüder feierte 25-jähriges Bestehen, „wir wollten nicht die Höhner oder die Bläck Fööss“, erinnert sich Heino Hansen, „die waren schon bei anderen und das wollten wir nicht wiederholen.“ 1000 Gäste kamen, mit den Jahren wächst die Sermer Wiesn-Gaudi, in diesem Jahr gehen schon im Juni Sitzplatzreservierungen ein. „Größer wollen wir aber nicht werden“, betont Kompanieführer Hansen.
Die Sermer setzen sich damit Grenzen, die anderswo noch lange nicht erreicht sind. In Nordrhein-Westfalen schießen die Oktoberfeste wie Pilze aus dem Boden. Jährlich erfreuen sich über 100 000 Besucher an der bayrischen Atmosphäre – oans, zwoa gsuffa an Rhein und Ruhr. Das bayrische Traditionsfest findet immer mehr Nachahmer.
Weltweit gibt es über 1000 Oktoberfeste. „Die meisten haben mit Brauchtum aber nichts zu tun“, sagt Michael Ritter vom Bayrischen Landesverband für Heimatpflege. Er beklagt die klischeehafte Darstellung Bayerns, „es setzt sich nur dieses Bild vom Seppel in Lederhosen und mit Gamsbart am Hut fest.“ Diese Botschaft wird natürlich auch transportiert, wenn sich in München die Schickeria für die Boulevardpresse in Schale wirft und busserlt, während der Bierkrug und das Hendl vor ihnen liegen. Er wolle niemandem den Spaß verderben, aber bei vielen der Oktoberfest-Kopien „steht einzig und allein der wirtschaftliche Gewinn im Vordergrund.“
Was angesichts des Potenzials ja auch nicht wirklich verwunderlich ist. Die Wiesn ist ein rentables Geschäft, im vergangenen Jahr spielte das Oktoberfest in München mit 6,4 Millionen Besuchern immerhin 950 Millionen Euro ein. In NRW ist die Nachfrage groß, inzwischen bieten einige Veranstalter schon All-inclusive-Pakete an: Beim Bottroper Ableger im Alpincenter gibt’s VIP-Tische für zehn Personen mit Sitzplätzen in Bühnennähe, einer eigenen Bedienung und natürlich Bier bis zum Abwinken– für 599 Euro den Abend. In Serm kostet die Maß Löwenbräu in diesem Jahr acht Euro, in Köln schenken sie 0,3 Liter Kölsch für 2,50 Euro aus.
Kölsch auf dem Oktoberfest? Igittigitt, aber solche Stilbrüche bringt der Import aus Süddeutschland einfach mit sich. Die musikalischen Gäste lassen dann noch mehr erahnen, dass es sich in der Domstadt um eine Karnevalsparty zum ungewöhnlichen Zeitpunkte handelt: Es spielen Michael Wendler, Jürgen Drews, Brings und die Zillertaler Schürzenjäger.
Doch ohne stimmungsträchtige Schlagermusik scheint’s hierzulande nicht zu klappen. „Man kann den Abend nicht ausschließlich mit bayrischer Musik gestalten“, weiß Ulla Vater, „nach einer gewissen Zeit wollen alle die bekannten Party-Schlager.“ Sie muss es wissen, denn Ulla Vater und ihre sieben Bandkolleginnen von den „Isartaler Hexen“ besuchen dieser Tage beinahe allabendlich ein Oktoberfest. Durch die ganze Republik reisen die Hexen, um die Gäste in Schunkelstimmung zu versetzen – so wie am 8. Oktober in Serm. „Es ist natürlich nicht jeder Tag gleich lustig“, sagt Ulla Vater, die 25 Jahre im Schottenhammel-Zelt auf der Wiesn musizierte, „aber bei euch Norddeutschen ist es viel gemütlicher als bei uns.“ Höflich, diese Bayern.
Heino Hansen und seine Kompanie werden in zwei Wochen kaum Zeit haben, ihr Oktoberfest zu genießen. „Man ist an dem Abend ja immer unterwegs“, sagt Hansen. Mit einem Umzug werden die Sermer Wiesn eingeläutet, ab 17 Uhr ist Einlass, später stechen der Karnevalsprinz und der Schützenkönig obligatorisch ein Fass an. Steigt da nicht letztlich die Neugier, sich in München noch das eine oder andere anzugucken? „Keine Ahnung“, sagt Heino Hansen, „ich war noch nie auf dem Oktoberfest.“
Andreas Berten